175) Arbeit als Aushilfslehrerin

Über das schwedische Schulsystem habe ich bereits in einigen Artikeln etwas geschrieben, vor allem in Beitrag 160 und Beitrag 167, und jetzt ist es an der Zeit, es persönlich kennenzulernen: Ich habe nun einen Arbeitsplatz als Lehrer-Vikarie, also Aushilfe, in unserer Gemeinde Årjäng. Was bedeutet das? Ich bin auf Stundenbasis angestellt und kann meine Arbeitszeit flexibel selbst festlegen. Ich trage dazu in einem Online-Portal die Tage ein, an denen ich frei habe und arbeiten kann, und dann bekomme ich bei Bedarf eine SMS mit einer Buchungsanfrage, nach der Art „Kannst du bitte Svenja im Fach Mathe an der Grundschule in Töcksfors von 9 bis 13 Uhr vertreten?“, und darauf kann ich mit JA oder NEIN antworten. Es gibt nichts vorzubereiten oder danach zu korrigieren, Svenja hat im besten Fall Arbeitsblätter oder Aufgaben erstellt, die ich mit ihren Klassen erledige. Ansonsten wird improvisiert, gespielt, geredet, Stillarbeit gemacht etc., wie in den Vertretungsstunden in Deutschland auch – wo diese aber von Lehrern übernommen werden und in den meisten Fällen nicht extra Aushilfen zur Entlastung eingestellt werden…

Für mich bietet dieser Job viele Möglichkeiten: Ich kann die Arbeitstage mit meiner Stelle im Supermarkt, die ich ab Januar auf zwei Tage pro Monat reduziert habe, und meiner Selbständigkeit, die wächst und die ich weiter ausbaue, frei kombinieren, kann andere Lehrer und den regulären Schulalltag hier kennenlernen und mir verschiedene Einrichtungen in unserer Gemeinde anschauen. Es gibt Kindergärten für Ein- bis Fünfjährige, Unterstufen (Klassen 1 bis 3), Mittelstufen (Klassen 4 bis 6) und eine Oberstufe (Klassen 7 bis 9) sowie Nachmittagsbetreuung. Bis hierhin sind alle Kinder gemeinsam unterwegs, es gibt keine verschiedenen Schularten. Das anschließend freiwillige Gymnasium (Klassen 10 bis 12) ist in diesem Vikariats-Pool nicht enthalten, dort werden ausfallende Stunden anderweitig organisiert. Theoretisch könnte ich der Gemeinde als meinem Arbeitgeber gegenüber auch einschränken, dass ich nur an bestimmten Schulen oder nur in bestimmten Jahrgangsstufen eingesetzt werden will, aber zunächst probiere ich einfach mal alles aus und sammle Erfahrungen.

Es gibt viele Unterschiede zu Deutschland, die ich hier hervorragend gelöst finde. Einer davon ist das sogenannte pädagogische Mittagessen: In der Cafeteria nehmen Lehrer und Schüler gemeinsam ihre in der Schulküche angerichtete Mahlzeit zu sich, diese ist für mich als Aushilfe jeden Tag gratis. Man setzt sich an Gruppentischen zusammen, maximal zwei Erwachsene sollen an einem davon Platz nehmen, und man redet beim Essen entspannt mit den Kindern und Jugendlichen. Das steigert natürlich enorm die Chancen, es ernsthaft und gezielt mitzubekommen, wenn bei jemandem zum Beispiel familiäre, psychische oder soziale Themen auftauchen sollten, was ja für alle Lehrkräfte eine wesentlich wichtigere Aufgabe als die Vermittlung von Stoff sein sollte… Und jetzt das, was dabei den größten Unterschied zu meinen bisherigen Erfahrungen ausmacht (vom kostenlosen Essen ganz abgesehen): Diese tägliche Stunde ist bezahlte Arbeitszeit. Sie ist dafür explizit VORGESEHEN, sich mit den Schülern informell außerhalb des Unterrichts auszutauschen. Die Lehrkräfte haben zusätzlich (!) ihre eigene Mittagspause, um bei Bedarf Ruhe und Kraft für die nächsten Stunden im Klassenzimmer zu tanken. Dieses Konzept macht für mich unglaublich viel Sinn und sollte bis zur Mittelstufe meines Erachtens auch an deutschen Schulen umgesetzt werden…

Zum Thema Finanzen vielleicht kurz, da solche Zahlen, Daten, Fakten viele Leser hier oft interessieren: Mein Stundenlohn in diesem Job sind umgerechnet ziemlich genau 15 Euro netto. Auf dem Papier ist das etwas höher als im Supermarkt, wo er aber durch Aufschläge für Abend- und Wochenendschichten in der Realität ein bisschen höher ist. Wenn man den Verdienst mit Deutschland vergleicht, muss man die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen natürlich berücksichtigen. Das spielt auch bei der Frage „Wer soll denn das zahlen?“ eine Rolle, wenn man flächendeckend zusätzliche Aushilfen mit bezahlten Mittagspausen inklusive Verköstigung einstellt… Das wäre grundsätzlich alles machbar, auch in Deutschland, nur müssten dafür (zu?) viele Dinge grundlegend verbessert werden.

Meinen ersten Einsatz werde ich übermorgen haben: eine Vorschule hat für Donnerstag eine Vertretung in ihrer Gruppe der ein- bis dreijährigen Kinder angefragt. Nicht meine gewohnte Altersgruppe, die ja eigentlich ab der fünften Jahrgangsstufe beginnt – ich freue mich riesig darauf!

4 Kommentare zu „175) Arbeit als Aushilfslehrerin

  1. Moin,
    sehr interessant zu lesen, wie der Alltag in anderen Ländern der Welt aussieht. Vielen Dank dafür und einen guten Start im neuen Job.

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