115) Von verzerrter Wahrnehmung, Mördern und Kinderschändern

Vor kurzem habe ich auf der Titelseite der örtlichen Lokalzeitung ein Bild gesehen, was mich (mal wieder) zum Nachdenken gebracht hat.
Es war ein 17-jähriger Jäger abgebildet, der stolz hinter dem Schädel des Elchbullen, den er erlegt hatte, posiert hat. Ein 16-Ender, dessen aufgestellter Schädel fast so groß war, wie der Junge selbst.
Nachdem ich einige hasserfüllte Gedanken gedacht hatte, habe ich die Zeitung weggeworfen.

Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass ich hier einen Jagdschein, vielleicht zusammen mit Sandra, machen werde. Mit Trophäenjagd beziehungsweise dem überschwänglichen Präsentieren seiner Beute zum „Angeben“ konnte ich mich aber noch nie anfreunden. Im Falle der Elchjagd wurde der Bulle zumindest auch zu Fleisch verarbeitet und gegessen. Aber ich persönlich hätte für mich vielleicht ein Erinnerungsbild gemacht, aber nicht auf der Titelseite der Zeitung stehen wollen. Ich finde, bei einer Jagd, die nicht wirklich zur Nahrungsbeschaffung, weil man sonst verhungert, stattfindet, muss man nicht unbedingt den Platzhirsch/-elch schießen. Die Präsentation im Anschluss spricht für mich von mangelndem Respekt, weil das Töten eines Tieres auch immer etwas Trauriges ist beziehungsweise sein sollte.

Dennoch habe ich von den Jägern, die wir hier in unserer Jagdgruppe kennen gelernt haben, nicht den Eindruck gehabt, dass sie respektlos sind. Grundsätzlich ist es nicht angebracht, eine bestimmte Personengruppe über einen Kamm zu scheren. Wer weiß, was den 17-Jährigen bewegt hat? War er einfach nur stolz und froh über seinen ersten erlegten Elch und hat sich sonst überhaupt keine Gedanken gemacht – und das Foto ist entstanden, weil das hier in der Gegend einfach so gemacht wird? Kannte sein Vater den Fotografen und wollte über Eck mit seinem Sohn angeben? Wollte der Junge das Mädel beeindrucken, von dem er weiß, dass sie selbst gern jagt? War es pure Lust am Töten und der Junge wird sich das Bild übers Bett hängen und beim Gedanken an den tödlichen Schuss Mal um Mal onanieren? Ich werde es (zum Glück vielleicht) nie herausfinden.
Die Jäger, die ich hier in Schweden bisher kennen gelernt habe, und die wenigen, die ich schon in Deutschland zuvor kannte, waren zumindest keine offensichtlichen, mordlustigen Psychopathen.

Ich weiß aber sehr wohl, dass zumindest in Deutschland und Österreich der Ruf der Jäger teilweise ein sehr schlechter ist. Mordlustig seien sie und so weiter.

Ich will in diesem Artikel auf einige Gedankenprozesse zu sprechen kommen, die zu einer unrealistischen Einschätzung von Jägern (und anderen Menschengruppen) führen können.

  • Mit etwas gedanklichem Abstand sollte klar sein, dass nicht alle Jäger mordlustige Psychopathen sind. Wenn man aber nun tatsächlich ein mordlustiger Psychopath ist, der Spaß am Töten von Tieren hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man auch einen Jagdschein macht. Nicht jeder Kindergärtner oder kirchliche Geistige ist pädophil. Wer aber pädophil ist, sucht sich wohl mit überdurchschnittlich hoher Wahrscheinlichkeit einen Beruf, in dem er mit Kindern zu tun hat und wo ein Machtgefälle herrscht. Nicht jeder Türsteher, Security oder Polizist ist gewalttätig und hat Freude am Zuschlagen. Aber wer Freude am Zuschlagen hat… und so weiter.
  • Eine Wahrnehmungsverzerrung tritt oft dadurch auf, dass diejenigen, die negativ aus der Reihe fallen, viel sichtbarer sind als diejenigen, die ihren Beruf gewissenhaft ausleben. Stichworte: Missbrauchsskandale in Sportvereinen und den Kirchen, „Prügelpolizisten“, illegale Jagd und so weiter.
  • Insbesondere im Bezug auf das Bild, was Jäger abbekommen, glaube ich, dass dieses Bild vor allem Menschen haben, die wenige oder keine Jäger kennen und sich mit deren Arbeit nicht gut auskennen. Das ist Teil eines größeren gesamtgesellschaftlichen Prozesses, nämlich der Entfremdung von der Natur. Die Menschheit lebt inzwischen fast weltweit in einer beengten Umgebung mit der restlichen Natur zusammen und hat (zum Glück oder leider, das kann man sehen wie man will) die Fähigkeit, ihre Umwelt zu gestalten. Oftmals führt das zu Chaos, weil der Mensch die Konsequenzen seiner Handlungen nicht abschätzen kann. Es gibt zum Beispiel rege Diskussionen (auch aber nicht nur in den USA und Kanada) ob und wie weit es sinnvoll ist, Wölfe gezielt in Ökosysteme einzuführen. Also eine Diskussion darüber, ob das eher ein Vorteil oder ein Nachteil für die Gesundheit des ganzen Ökosystems ist. Unsere Welt ist so komplex, dass solche Fragestellungen oft nur mit einer gehörigen Portion Raterei angegangen werden können. Fakt ist aber, dass durch die bloße Präsenz des Menschen in all seiner Masse und Vielfalt die automatischen Regulationsmechanismen nicht mehr greifen, die ohne den Menschen funktioniert haben. Ich glaube und möchte glauben, dass die meisten Jäger einen gewissenhaften Job erledigen und so wie Gärtner und Landwirte ihre Umgebung zum Wohle der Gesellschaft managen.
  • Das führt mich zu einem letzten Punkt. Gesamtgesellschaftlich findet nicht nur eine Entfremdung von der Natur generell, sondern speziell auch vom Prozess des Sterbens und Tötens statt. Viele Gesellschaften, die existieren oder existiert haben und die wir heute despektierlich mit dem Begriff „primitiv“ titulieren, hatten einen sinnvolleren und mutigeren Umgang mit dem Tod anderer Menschen, als wir es heute haben. Heute ist der Tod Tabu, wir sperren unsere Alten lieber in Anstalten, wo ihr Siechen und Vegetieren zumindest nicht gesehen wird (dafür entlohnen wir die Personen, die die Alten pflegen, zumindest fürstlich). Und wir kaufen im Supermarkt Fleisch, das hygienisch in Plastik verpackt ist und wo man leicht vergessen kann, dass das mal ein Tier war und für uns gestorben ist. Auch deshalb möchte ich fischen und jagen. Ich kritisiere viel, aber ich nehme mich aus der Kritik nicht unbedingt aus. Wenn ich selber keine Tiere töten kann, möchte ich langfristig auch größtenteils auf den Fleischkonsum verzichten, was ich zur Zeit nicht mache. Eines ist aber ein Irrglaube, nämlich dass ein gejagtes Tier mehr leidet, als es in der natürlichen Umgebung der Fall gewesen wäre. Ein hervorragendes Beispiel ist das Elchkalb, was bei der diesjährigen Jagd erlegt wurde und schon seit Wochen eine eiternde Bisswunde am Hinterlauf trug und zudem eine Knochenabsplitterung hatte. Die Natur kennt kein Mitleid und keine Würde. Ein Tier, was durch seinen Jäger erschossen wird, hat einen schnelleren Tod, als es sonst überhaupt möglich wäre. Wer mal seine niedliche Katze beim Spielen mit der Beute vor dem Töten beobachtet hat, weiß genau, dass das stimmt. Alle anderen haben zumindest wahrscheinlich mal Dokumentationen über das Tierreich in Afrika gesehen. Der humane Tod in Würde ist, wie es der Begriff schon sagt, eine Erfindung des Menschen. Und das ist nicht das Schlechteste, meine ich.

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