140) Ein kritischer Blick auf Selbstversorgung und Prepping

Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass wir nach Schweden ausgewandert sind. Einer dieser Gründe war, dass es uns hier möglich ist, mit den finanziellen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, ein Leben aufzubauen, das uns näher an die Natur rückt. Dazu gehört auch, Selbstversorgung bis zu einem gewissen Grad anzustreben.
Selbstversorgung bedeutet Verantwortung und Arbeit, aber auch Unabhängigkeit und Gesundheit (insofern, dass die Lebensmittel, mit denen man sich selbst versorgt, bezüglich Nährwert, Frische und Qualität nicht besser sein könnten).

In den Jahrzehnten seit dem zweiten Weltkrieg hat sich, was Lebensstil und Lebensstandard angeht, immens viel getan.
Wir alle leben, ob uns das bewusst ist oder nicht, in großem Luxus und in einer Bequemlichkeit, die für die Generation unserer Großeltern noch schwer vorstellbar war. Das sollte man durchaus auch dankbar im Blick behalten, wenn gerade Empörung ausbricht, dass die Heiztemperatur vielleicht in der Arbeit um ein oder zwei Grad nach unten reguliert wird.

In diesen Jahrzehnten ist auch viel Wissen verloren gegangen. Die meisten unserer Großeltern haben noch gewusst, wie man dieses oder jenes Gemüse anbaut, haben vielleicht noch selbst einige Tiere zur Selbstversorgung gehabt. Auch bei meinen Großeltern im Ruhrgebiet war das so. Das weiß ich zumindest aus Erzählungen. Selber mitbekommen habe ich das leider kaum noch. Selbst in deutschen Schrebergartenanlagen, heute einer der Inbegriffe an Spießigkeit, war es noch vor wenigen Jahrzehnten üblich, das Hauptaugenmerk der Bepflanzung auf Nahrungsmittel zu legen. Auch das hat sich zumeist geändert.

Machen wir einen Zeitsprung ins heutige Deutschland, merken wir, dass sich die Situation grundlegend verändert hat. Kaum jemand baut noch sein eigenes Gemüse an, ja sogar große, alte Obstbäume, die im Garten stehen und reichlich tragen, werden im Herbst häufig gar nicht abgeerntet, wohl weil es bequemer ist, die Früchte im Supermarkt zu kaufen. Die Haltung von eigenen Nutz- und Nahrungstieren ist noch erheblich seltener geworden. Urban Gardening wurde zu einem Trend, bei dem Habitus und das entsprechende schicke Zubehör oft mindestens eine so große Rolle spielen, wie das Gärtnern selbst.

Auch viele andere Themen, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit im Bewusstsein der Menschen waren, sind stark in den Hintergrund gerückt: eine gewisse Vorratshaltung, Selbstversorgung, energetische Autarkie, grundlegende handwerkliche Fähigkeiten und so weiter.
All das ist uns in den letzten Jahren nach und nach ein bisschen um die Ohren geflogen. Während der Corona-Zeit, insbesondere am Anfang, war es vor allem das Thema Vorratshaltung, das plötzlich omnipräsent war. Und es hat sich gezeigt, dass kaum jemand auch nur die relativ moderat angesetzten Empfehlungen zur Vorratshaltung des Bundesamtes für Katastrophenschutz befolgt (oder überhaupt erst einmal kennt). Vielleicht sind es inzwischen ein paar Menschen mehr. Für alle Leser ist hier der Link.
In der letzten Zeit ist uns dann noch einmal mehr vor Augen geführt worden, wie sehr wir uns von globalen Warenströmen abhängig gemacht haben. Erst haben wir die Vorteile, nämlich dass fast alles fast immer ziemlich günstig und schnell verfügbar war, genossen. Und dann, als diese Vorteile nicht mehr genossen werden konnten, gespürt, dass es kaum noch einen Weg zurück gibt.

Der Tatsache zum Trotz, dass sich in den letzten Jahren in vielen Situationen gezeigt hat, dass ein gewisser Grad an Unabhängigkeit von tagespolitischen Strömungen und von internationalen Warenströmen nur positiv zu bewerten ist, werden Menschen, die tatsächlich Vorratshaltung betreiben oder gar versuchen, eine gewisse Energieautarkie anzustreben, viel zu häufig mit Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern, Waffennarren und so weiter in einen Topf geworfen. Zum Teil hat das wahrscheinlich mit meist reißerischer Berichterstattung über US-amerikanische Prepper in den letzten Jahrzehnten zu tun. Ein weiterer Grund dafür mag ein naiver Blick auf gesellschaftliche und politische Realitäten sein. Die Decke der Zivilisation ist dünn, und der Gedanke, dass alles immer, sofort und möglichst auch noch billig verfügbar ist, ist nur noch ein feuchter Traum.

Jeder ist gut beraten, diese Mindestanforderungen zu erfüllen. Das ist meiner Meinung nach faktisch und rational die einzige richtige Entscheidung, die man treffen kann: die Mühe, einen Notvorrat anzulegen, ist minimal. Es entstehen keinerlei Extrakosten und der Platzaufwand ist selbst in einer kleinen Mietwohnung kein Hindernis (ein schönes Beispiel sieht man in der ARTE-Doku, die ich am Ende des Artikels verlinke).
Sollte es nie zu einer Situation kommen, in der die Vorbereitungen genutzt werden, war der Aufwand, den man betrieben hat, nicht hoch. Sollte es aber doch zu einer Situation kommen, in der die Vorräte gebraucht werden – egal wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich das ist – ist der potentielle Schaden immens, den eine fehlende Vorbereitung anrichten kann. Dieser Schaden kann jeden selbst und auch die eigene Familie betreffen.

Zudem lohnt sich noch ein differenzierterer Blick.
Politik wird oft mit Angst gemacht. Medien versuchen, über Erregung von Angst Verkäufe beziehungsweise Klicks zu generieren. Wenn man sich über Selbstversorgung, Vorratshaltung und verwandte Themen informiert und sich einige Websites, Youtube-Channels oder Instagram-Kanäle ansieht, merkt man schnell, dass auch hier leider oft die Erzeugung von Angst als Stilmittel genutzt wird.
Angst vor dem apokalyptischen Zusammenbruch der Gesellschaft, vor Blackouts, aktuell auch (und hier in Skadinavien vermutlich noch mehr als in Deutschland) Angst vor „dem Russen“.
Ich bin der Überzeugung, dass es Sinn macht, sich über all diese Dinge Gedanken zu machen. Eine sachliche Reflexion und Vorsicht sind aber etwas grundlegend anderes, als Angst.

Noch einmal: eine gewisse Katastrophenvorsorge zu treffen, ist bestimmt für jeden gut.
Jeder sollte sich aber fragen, aus welcher Motivation heraus er eine solche Vorsorge betreibt: als Reflex auf eine (berechtigte oder unberechtigte) Angst, oder aus Liebe zum Leben.
Sowohl Selbstversorgung als auch Prepping/Katastrophenvorsorge sorgen nämlich dafür, dass die individuelle Resilienz größer wird. Äußere, negative Einflüsse können somit besser und leichter gedämpft werden. Das führt dazu, dass es dem Einzelnen und seinen Nahestehenden auch leichter möglich ist, ein würdevolles Leben zu führen, wenn die äußeren Umstände dazu verleiten, den Kopf zu verlieren. Damit findet sich hier eine wichtige Parallele von Selbstversorgung und Katastrophenvorsorge zur Herstellung und Erhaltung von körperlicher Fitness.
Beides macht robust gegenüber äußeren Einflüssen und stellt Würde her – und was gibt es Wichtigeres?

Ein Kommentar zu “140) Ein kritischer Blick auf Selbstversorgung und Prepping

  1. Ich kann mich gut an den Vorratskeller meiner Oma erinnern. Es ist ein schönes Gefühl immer etwas zu Essen im Keller zu haben, ohne ständig auf den Supermarkt angewiesen zu sein.

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